Das Projekt wurde gefördert durch ein Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

Chiron

[59] Wo bist du, Nachdenkliches! das immer muß

Zur Seite gehn, zu Zeiten, wo bist du, Licht?

Wohl ist das Herz wach, doch mir zürnt, mich

Hemmt die erstaunende Nacht nun immer

 

Sonst nämlich folgt ich Kräutern des Walds und lauscht

Ein weiches Wild am Hügel; und nie umsonst.

Nie täuschten, auch nicht einmal deine

Vögel; denn allzubereit fast kamst du,

 

So Füllen oder Garten dir labend ward,

Ratschlagend, Herzens wegen; wo bist du, Licht?

Das Herz ist wieder wach, doch herzlos

Zieht die gewaltige Nacht mich immer.

 

Ich wars wohl. Und von Krokus und Thymian

Und Korn gab mir die Erde den ersten Strauß.

Und bei der Sterne Kühle lernt ich,

Aber das Nennbare nur. Und bei mir

 

Das wilde Feld entzaubernd, das traurge, zog

Der Halbgott, Zevs Knecht, ein, der gerade Mann;

Nun sitz ich still allein, von einer

Stunde zur anderen, und Gestalten

 

Aus frischer Erd und Wolken der Liebe schafft,

Weil Gift ist zwischen uns, mein Gedanke nun;[59]

Und ferne lausch ich hin, ob nicht ein

Freundlicher Retter vielleicht mir komme.

 

Dann hör ich oft den Wagen des Donnerers

Am Mittag, wenn er naht, der bekannteste,

Wenn ihm das Haus bebt und der Boden

Reiniget sich, und die Qual Echo wird.

 

Den Retter hör ich dann in der Nacht, ich hör

Ihn tötend, den Befreier, und drunten voll

Von üppgem Kraut, als in Gesichten,

Schau ich die Erd, ein gewaltig Feuer;

 

Die Tage aber wechseln, wenn einer dann

Zusiehet denen, lieblich und bös, ein Schmerz,

Wenn einer zweigestalt ist, und es

Kennet kein einziger nicht das Beste;

 

Das aber ist der Stachel des Gottes; nie

Kann einer lieben göttliches Unrecht sonst.

Einheimisch aber ist der Gott dann

Angesichts da, und die Erd ist anders.

 

Tag! Tag! Nun wieder atmet ihr recht; nun trinkt,

Ihr meiner Bäche Weiden! ein Augenlicht,

Und rechte Stapfen gehn, und als ein

Herrscher, mit Sporen, und bei dir selber

 

Örtlich, Irrstern des Tages, erscheinest du,

Du auch, o Erde, friedliche Wieg, und du,

Haus meiner Väter, die unstädtisch

Sind, in den Wolken des Wilds, gegangen.
[60]

Nimm nun ein Roß, und harnische dich und nimm

Den leichten Speer, o Knabe! Die Wahrsagung

Zerreißt nicht, und umsonst nicht wartet,

Bis sie erscheinet, Herakles Rückkehr.

 

 

 

 

 

Quelle:

Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 59-61.

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http://www.zeno.org/nid/20005105153

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Kategorien:

 

Gedicht · Deutsche Literatur